Sitten und Gebräuche

Zusammenstellung

kirchner-raddestorf

Beginn: 11/02

 

 

Sitten und Gebräuche unseres Raumes in Beobachtungen und Darstellungen der örtlichen Heimatbücher. 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Die gemeinsame Sprache. 2

Vorbemerkung. 2

Historische Entwicklung: Niederdeutsch. 2

Stammes und Sprachlandschaften der Völkerwanderungszeit 2

Deutsche und friesische Sprache im frühen Mittelalter 3

Der niederdeutsche Sprachraum im 9. Jh. 3

Mittelniederdeutsch, Grundlage des Niederdeutschen. 3

Die Sprache der Hanse. 3

Der Rückgang des Niederdeutschen. 4

Einfluss von Kanzleien und Humanismus. 4

Die Reformation, Wegbereiter des Hochdeutschen. 4

Die weitere Entwicklung des Niederdeutschen. 4

Grenzen niederdeutscher Mundartengruppen. 5

Diskriminierung und Verdrängung im 19 und 20. Jahrhundert 5

Gebrauch des Niederdeutschen 1939 und 1963. 5

Die Entwicklung vom 2. Weltkrieg bis zur Gegenwart 5

Niedergang in der Nachkriegszeit 5

Neuere Entwicklung und gegenwärtiger Stand. 6

Miteinander. 7

Örtliche Eigenheiten. 7

Bauerntanz im Freien um 1500. 7

Erloschene Bräuche. 7

Spinnstuben. 7

Spinn- und Nähstuben (Warmsen) 7

Backen und Spinnen in Borstel 8

Teilweise noch praktizierte Bräuche. 8

Pfingstkranz. 8

Pfingstkranz in Bonhorst 1930er 9

Pfingstkranz in Großenvörde 1943. 9

Maiboom planten. 9

Erntekranz-Binden. 9

Martins-Singen. 9

Matten rechts der Weser 9

Nachbarschaftsbeziehungen. 9

Vorbemerkungen. 9

1880 Nachbarschaftshilfe Warmsen. 10

„Notnachbarn“ waren treue Helfer 10

„Hochzeitsbitter“ heute. 11

Literaturverzeichnis. 12

Örtliche Chroniken. 12

Überregionale Beschreibungen. 12

Zeitungen. 12

 

 

 

Die gemeinsame Sprache

gekürzt nach einer Abhandlung „Sprache und Mundarten in: Seedorf/ Meyer (Hrsg.). Landeskunde NIEDERSACHSEN. Band II, 1996.

 

 

 

Vorbemerkung

In Niedersachsen wird heute überall die hochdeutsche Sprache in fast reiner Schriftsprachenform gesprochen und gelehrt. Deshalb werden im allgemeinen die Norddeutschen, wenn sie in ihrer etwas bedächtigen Art hochdeutsch sprechen, von Ausländern und Binnenländern am besten verstanden. Die Landeshauptstadt Hannover gilt gemeinhin als Vertreterin des besten Deutsch. Obwohl sich das Hochdeutsche auch als Umgangssprache in Niedersachsen schon über ein Jahrhundert zunehmend durchgesetzt hat, so ist die alte Sprache der Norddeutschen, das Niederdeutsche, in vielen Teilen des Landes noch als zweite Umgangssprache lebendig geblieben. Im Gegensatz zum Hochdeutschen wird es zumeist als das Plattdeutsche bezeichnet, das allerdings in unterschiedliche Mundarten aufgespaltet ist. Jedem Zuhörer wird deutlich, dass sich das Hochdeutsche wesentlich vom Niederdeutschen unterscheidet. Das Niederdeutsche war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit in ganz Norddeutschland nicht nur dominierend, sondern alleinherrschend...

Die Urkunden des späten Mittelalters sind, wenn nicht in lateinischer, dann in niederdeutscher Sprache abgefasst worden. Die Hausinschriften erscheinen bis in das 17. Jahrhundert hinein vorwiegend niederdeutsch. Erst mit dem Aufkommen des Buchdruckes und mit der Reformation, besonders aber wahrend der Barockzeit, ist das Niederdeutsche "von einer hochentwickelten Schrift und Literatursprache zur nur noch gesprochenen Mundart, zum Plattdeutschen, abgesunken" (Schnath 1979).

Das Niederdeutsche blieb jedoch bis zur Industrialisierungs- und Verstädterungsphase vor dem 1. Weltkrieg die "Sprache des Volkes". In den ländlichen Bereichen ist das größtenteils noch heute der Fall, wenn inzwischen auch viele hochdeutsche, englische und andere fremdsprachige Begriffe eingeflossen sind und noch weiter einfließen. Doch in der Aufnahmefähigkeit und Wandelbarkeit zeigt sich gerade, dass diese seit mehreren hundert Jahren totgesagte Sprache immer noch lebendig ist und wieder lebendiger wird, denn sie enthalt so viel Kulturgut, das nicht verloren gehen darf. Man braucht nur an die altüberlieferten Märchen, Schwanke und Sprichwörter, an die Straßen- und Flurnamen zu denken, die nur der plattdeutsch Sprechende richtig zu deuten vermag. Allein das lässt es lohnend erscheinen, sich mit der niederdeutschen Sprache zu beschäftigen, sie zu pflegen und bei eigener Unkenntnis im Umgang mit anderen wiederzuerlernen.

 

 

Historische Entwicklung: Niederdeutsch

Stammes und Sprachlandschaften der Völkerwanderungszeit

Im Zusammenhang mit der Wanderungsbewegung der germanischen Stämme in der sog. Volkerwanderungszeit zogen die Sachsen von ihren Stammsitzen im heutigen Schleswig-Holstein und südlichen Dänemark über die Elbe nach Süden und errichteten einen Stammesstaat, der bis an die Lippe, Werra und Unstrut reichte und die in diesem Gebiet ansässigen Stämme der Chauken, Angrivarier (Engern), Cherusker, Brukterer und Ampsivarier einschloss. Mit dem weiteren West- und Nordvordringen der Sachsen verbreitete sich ihre Sprache im gesamten nördlichen Deutschland und im Nordseeraum.

Als Belege für die Verbreitung des Altsächsischen finden sich im gesamten damaligen Verbreitungsgebiet bis nach England hin sächsische Formen von Ortsnamen.

 

Deutsche und friesische Sprache im frühen Mittelalter

Die nordseegermanischen Sprachen unterschieden sich wahrscheinlich nur geringfügig. Im Frühmittelalter, nach der Ausbreitung des Christentums auf den britischen Inseln, kamen Missionare aus England und Irland zur Christianisierung der Sachsen und Friesen auf das Festland. Ihr Erfolg erklärt sich teilweise dadurch, dass sie die Sprache dieser Volker verstanden und ethnische Sensibilitäten berücksichtigten. Der bedeutendste unter den Missionaren war Winfrid, besser bekannt unter dem Namen Bonifatius, der 754 bei der Missionsarbeit in Friesland ermordet wurde.

Auch heute noch haben das Englische, das Niederländische und das Niederdeutsche viele Gemeinsamkeiten. Es wird mehrfach berichtet, dass englische und amerikanische Besatzungssoldaten am Ende des Zweiten Weltkrieges sich mit der niederdeutsch sprechenden Bevölkerung in Norddeutschland verständigen konnten.

Im frühen Mittelalter hatten sich die kontinentalen westgermanischen Hauptsprachen Deutsch und Friesisch auseinander entwickelt. Das Deutsche spaltete sich wiederum durch die genannte zweite Lautverschiebung in Althochdeutsch und Altsächsisch oder Altniederdeutsch

Im Gebiet Niedersachsens wurde das Altniederdeutsche mit Sprachelementen der Altstamme durchmischt. Z.B. gibt der Ortsname Bardowick einen Hinweis auf die Langobarden, und das um 830 entstandene altniederdeutsche biblische Epos "Heliand" enthält neben erminonischen Elementen auch andere, nicht sicher als stammesbedingt nachweisbare Sprachformen.

Der niederdeutsche Sprachraum im 9. Jh.

nach Foerste 1937, aus: Niedersächsische Städteverband et al. 1985, S. 19

 

Das Altniederdeutsche, aus dem sich später das Mittelniederdeutsche entwickelte, wird in drei Gruppen unterteilt, die als Grundlage für die sprachgeographische Rasterung Niedersachsens dienen können, wenngleich diese Gebiete über die heutigen Landesgrenzen hinausgehen. Nach den sächsischen Stammen dieser Regionen bezeichnet man sie als nord-niedersächsisch (nach den "Nordliudi“ = Nordleute), westfälisch und ostfälisch, wahrend die Engern als vierter Stamm keine eigene Dialektgruppe bilden.

 

Mittelniederdeutsch, Grundlage des Niederdeutschen

Aus dem Altniederdeutschen entwickelte sich das Mittelniederdeutsche, das wiederum in das Westfälische, Ostfälische und Nordniedersächsische aufgeteilt wird bzw. sich aus kleineren Dialekträumen zusammensetzt

Sie lassen sich ihrerseits als Ganzes von den Sprachen der sie umgebenden Länder abgrenzen, so dass man von einem einheitlichen mittelniederdeutschen Sprachraum mit innerer Differenzierung sprechen kann. Ein Grund für die relative Einheitlichkeit war die immer stärkere Eingliederung in das mittelalterliche Verwaltungssystem des Deutschen Reiches, womit sich Wörter lateinischen und fränkischen Ursprungs im niederdeutschen Sprachraum verbreiteten. Dieser Sprachraum umfasste die Gebiete Niedersachsens, Westfalens und Holsteins und wurde im Norden sprach räumlich durch das Dänisch-Jütische, im Süden durch das Hochdeutsche und im Westen und Nordwesten durch das Friesische bzw. Niederländische begrenzt.

In dieser hochmittelalterlichen Ausbreitungszeit wurden die kleinen lokalräumlichen Merkmale zugunsten einer einheitlichen Verschriftung zu größeren regionalen Schriftsprachen nivelliert. Der Ausgangspunkt war zunächst Ostfalen, wo mit Eike von Repgows "Sachsenspiegel" (1221-1224) eine Rechtseinheitlichkeit im Landrecht und Lehnswesen eintrat ... Dennoch blieb die Vereinheitlichung weitgehend unvollendet, da sich lokalräumliche Formen und Umgangssprachen neben den Fachsprachen schriftlich zu fixieren begannen.

 

Die Sprache der Hanse

Die nachfolgende Expansion und Blütezeit des Mittelniederdeutschen verläuft zeitgleich mit der Blütezeit der Hanse als herausragender Handelsmacht im Nord und Ostseeraum und wird durch sie maßgeblich vorangetrieben. Hauptursache hierfür war die Notwendigkeit einer sprachlichen Organisation des hansischen Handels. Das standardisierte Mittelniederdeutsch wurde nunmehr Behörden, Gerichts- und Urkundensprache.

Die äußeren Einflüsse auf das Mittelniederdeutsche als Folge der weiträumigen Verbreitung haben auch die heutigen niedersächsischen Dialekte entscheidend mitgeprägt. Umgekehrt wurden im lexikalischen Bereich Begriffe aus dem Niederdeutschen auch in das heutige Hochdeutsch aufgenommen. Man braucht nur an Wörter wie Fracht, Kram, Kran, Stapel und Ware zu denken. Grammatisch wurde das Mittelniederdeutsche wie die deutsche Sprache insgesamt vom Lateinischen geprägt. Im Unterschied zur gesprochenen Sprache wurde der Satzbau der Schriftsprache in Anlehnung an lateinische Muster entwickelt.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Mittelniederdeutsche im gesamten Raum des Hansehandels, von Flandern bis Nowgorod, von Nordnorwegen bis zu den Alpen, als Verkehrs und Schriftsprache eine herausragende Bedeutung hatte.

 

Der Rückgang des Niederdeutschen

 

Einfluss von Kanzleien und Humanismus

Entscheidend für das Zurückweichen des Mittelniederdeutschen und seine Verdrängung durch das Hochdeutsche war der Einfluss der hochdeutschen Schriftsprache. Mit der sinkenden Bedeutung der Hanse und der kulturellen Ausweitung Süddeutschlands wurde auch im Norden die im Süden verwendete Schriftsprache bestimmend für den schriftlichen Austausch. Mehrere gleichzeitig verlaufende und einander bedingende Faktoren beschleunigten diesen Wandel.

Durch die Einführung des Römischen Rechts und der maßgebenden Rechtsprechung des Reichskammergerichts in Speyer in Zusammenhang mit einer angestrebten stärkeren Reichseinheit wurde eine sprachliche Neuorientierung eingeleitet, die den hochsprachlichen Süden Deutschlands politisch und kulturell starker in den Mittelpunkt stellte. Im amtlichen Verkehr unseres Raumes wurde zwischen 1540 und 1600 die mittelniederdeutsche Schreibsprache durch das Hochdeutsche verdrängt. In Bremen, Oldenburg und Emden hielt sich das Mittelniederdeutsche bis etwa 1640....

Damit einher war ein Verlust der hansischen Handelsmacht gegangen. Die Zentren des Seehandels hatten sich mit dem 15. Jahrhundert von der Ostsee weiter nach dem Westen und nach Übersee verlagert, wahrend die Handelsbeziehungen mit dem weitersüdlich gelegenen Ausland zunehmend von süd- und mitteldeutschen Städten übernommen wurden. Der wachsende Einfluss des Humanismus brachte einen Austausch von Gelehrten mit sich. Studierende und Lehrende aus Norddeutschland wandten sich den mitteldeutschen Universitäten zu, und hochdeutschsprechende Kaufleute, Kleriker und Beamte aus dem süd- und mitteldeutschen Raum kamen in den Norden.

 

Die Reformation, Wegbereiter des Hochdeutschen

Ein anderer wesentlicher Impuls mit Breitenwirkung war die Reformation. Die Schriftsprache war auch hier der Wegbereiter des Hochdeutschen. Luthers Bibelübersetzung, in Anlehnung an die von ihm erweiterte "sächsische Kanzleisprache", gilt als Grundlage des Neuhochdeutschen. Durch ihre rasche Verbreitung und durch die Tatsache, dass der gr68te Teil Nordwestdeutschlands noch im gleichen Jahrhundert lutherisch wurde, ist das Zurückdrangen des Mittelniederdeutschen begünstigt worden.

In den Kirchen war der Gottesdienst vorher vorwiegend lateinisch, wahrend der mitteldeutsche Raum und vor allem Wittenberg als eigentlicher Ausgangspunkt der Reformation zweisprachig hoch und niederdeutsch war. Luther selbst versuchte diesen Umstand zu berücksichtigen und schlug zweisprachig hoch und niederdeutsche Predigten vor. Entsprechend der protestantischen Forderung nach der Wirksamkeit "des Wortes" sollte die Predigt vor allem verständlich sein, und so war die niederdeutsche Predigt zunächst lange Zeit in Norddeutschland bestimmend.

Der wachsende Einfluss der Territorialfürsten in der Zeit des Absolutismus verdrängte die Bedeutung der niederdeutsch sprechenden selbstständigen mittelalterlichen Städte. Die damalige hochdeutsch sprechende Bildungselite konzentrierte sich an den Residenzen und Herrschaftssitzen. Von hier aus beeinflusste sie das öffentliche Leben im Sinne des Herrschers und verbreitete über fürstliche Beamte, Kaufleute und Pastoren das Hochdeutsche rasch auch in abgelegeneren ländlichen Regionen. Gleichzeitig wurden die Dialekte unterdrückt, um eine bessere Einfluss und Kontrollmöglichkeit in allen Teilen des Landes zu haben. Etwa ab 1600, wenn auch mit langen zeitlichen Verschiebungen, wurde in den Stadt und Landkirchen der hochdeutsche Gottesdienst eingeführt, der ähnlich wie die lateinische Messe in der katholischen Kirche noch einen stark liturgischen Charakter hatte...

 

 

Die weitere Entwicklung des Niederdeutschen

 

Während und nach der Ablösung als offizielle Verkehrssprache spielte das Niederdeutsche als Umgangssprache in der Bevölkerung weiterhin die führende Rolle. Die einzelnen Dialekträume entwickelten ihre Mundarten weiter. Die umgangssprachliche Verwendung trug einerseits zur Erhaltung des Niederdeutschen bei, begünstigte gleichzeitig aber die Verdrängung aus dem offiziellen Sprachgebrauch.

 

Grenzen niederdeutscher Mundartengruppen

nach Foerste 1957

Diskriminierung und Verdrängung im 19 und 20. Jahrhundert

Mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Bildungsbürgertums im 19. Jahrhundert begann eine Zeit der zunehmenden Diskriminierung des Niederdeutschen, die bis in die Gegenwart anhielt. Durch ein falsch verstandenes Klassenbewusstsein wurde das Niederdeutsche als Sprache der Ungebildeten verachtet. Seine Verwendung durch volkstümliche Theater und teilweise durch Bänkelsänger mag diese Zuordnung als Sprache der sozial Niedrigstehenden begünstigt haben. Vor allem aber versuchte sich die neu entstehende Oberschicht von den plattdeutsch sprechenden Bauern und kleinen Handwerkern abzugrenzen und deren Sprache als Unterschichts-Idiom abzuqualifizieren. Der rasche Fortschritt der in hochdeutsch publizierenden Wissenschaft und Technik hatte ein weiteres Zurückdrangen der Mundarten zur Folge. Schließlich gab es auch Wissenschaftler, Lehrer und Geistliche, die aufgrund der sozialen Stellung der Sprecher das Plattdeutsche selbst als Bildungshindernis ansahen. Mit einer durch die allgemeine Schulpflicht und Gewerbefreiheit geforderten gesellschaftlichen Neuorientierung war der soziale Aufstieg zum erklärten Ziel vieler Bürger geworden. Der Dialekt wurde dabei als Hemmnis angesehen, mit der Folge, dass viele Familien auch untereinander und mit ihren Kindern hochdeutsch zu sprechen begannen, um ihnen ein gesellschaftliches Weiterkommen zu ermöglichen.

Diese Entwicklung setzte sich verstärkt im 20. Jahrhundert fort.

 

Gebrauch des Niederdeutschen 1939 und 1963

am Beispiel der Landkreise Wesermarsch und Hildesheim

Seedorf 1964, S. 313 und 1968, S. 327

Die Entwicklung vom 2. Weltkrieg bis zur Gegenwart

 

 

Niedergang in der Nachkriegszeit

Aus verschiedenen Gründen war bereits vor dem Zweiten Weltkrieg das Plattdeutsche im Niedergang begriffen. Durch das oft zu hörende Urteil, das Plattdeutsche sei unfein und lediglich die Sprache der Bauern, Arbeiter und der anderen "kleinen Leute", waren tiefe Einbrüche in den Gebrauch des Niederdeutschen erfolgt. Das Plattdeutsche erschien für das spätere ”Fortkommen" der Kinder nicht nur entbehrlich, sondern abträglich.

Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen brachten dann den rapiden Rückgang des Niederdeutschen auch auf dem Lande. Da waren zunächst die vielen aus anderen Gebieten kommenden Dienstverpflichteten und Soldaten, mit denen man sich nur hochdeutsch unterhalten konnte. Dann kamen die Kriegsgefangenen und anderen Ausländer und die wegen des Bombenkrieges evakuierten Städter auf das Land. Die entscheidende Wende vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen hin ging jedoch von der Einweisung von rd. 2 Millionen Vertriebenen, Flüchtlingen und Übersiedlern aus den ehemals deutschen Ostgebieten aus, die nach Niedersachsen kamen. 1961 waren rund 30% der niedersächsischen  Bevölkerung Heimatvertriebene oder Deutsche aus der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone.

Gewiss waren viele Flüchtlinge ländlicher Herkunft. Sie kamen z.B. aus Ostpreußen oder Pommern, doch selbst wenn sie plattdeutsch sprachen, unterschied sich ihr Heimatdialekt von dem ihrer Ansiedlungsgebiete meist so sehr, dass als allgemeine Verständigungsgrundlage hochdeutsch gesprochen wurde. Die Anteilnahme der Neubürger an allen Bereichen des öffentlichen Lebens, Heiraten zwischen Alt und Neubürgern sowie die Arbeitsorganisation ließen den Dialektgebrauch schnell abnehmen. Auch auf den Schulhöfen wurde kaum mehr plattdeutsch gesprochen.

Entscheidend für die Abnahme des Niederdeutschen war weiterhin die sinkende Bedeutung der Landwirtschaft, in der nahezu überall plattdeutsch gesprochen wurde. 1956 waren noch 30% aller Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig, 1961 nur noch 20%, 1970 noch 10,9% und 1987 lediglich 5%. Das führte zusammen mit der zunehmenden Motorisierung zu einer neuen beruflichen Orientierung auf die größeren Städte hin. Durch die Einbeziehung der Landbewohner in das städtische Leben, durch die Einrichtung von Mittelpunktschulen und durch die Ausweitung der Städte und der städtischen Pendlereinzugsbereiche in das ländliche Umland trat das Plattdeutsche immer weiter zurück.

Einen nicht unerheblichen Anteil an der Verdrängung des Niederdeutschen hatten auch die Massenmedien. Das Fernsehen mit seinem sich ständig ausweitenden Programmangebot bestimmte immer starker das Freizeitverhalten, denn nicht nur die Sprache des Fernsehens ist hochdeutsch, sondern auch die Diskussion über dessen Inhalte. Es gibt für sie keine plattdeutschen Entsprechungen. Junge Leute orientierten sich zunehmend an den in den Medien dargestellten Idealen und übernahmen deren Sprache. Plattdeutsch passte immer weniger in ihr Bild eines modernen Menschen.

Verlässliche Zahlen für den Rückgang des Niederdeutschen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg liegen nicht vor. Janssen (1943) ermittelte 1939, dass in Nordniedersachsen mit Ausnahme der Städte noch 75 - 100% der Eltern untereinander und auch die Schulkinder untereinander plattdeutsch sprachen, wahrend das im Lößbordegebiet und in den verkehrsreichen Talern des Berglandes weniger als 50% taten.

Eine Nacherhebung in den Landkreisen Wesermünde und Hildesheim-Marienburg im Jahre 1963 ließ aus den genannten Gründen den starken Abfall des Niederdeutschen deutlich werden.

 

Neuere Entwicklung und gegenwärtiger Stand

Diese negative Entwicklung hat das Niederdeutsche so weit beeinflusst, dass es heute nirgendwo mehr in "Reinform" vorhanden ist und überall vom Hochdeutschen überlagert wird. Das Niederdeutsche ist in vielen Gebieten zur nachrangigen Zweitsprache geworden.

Eine Ursache dafür ist paradoxerweise die sprachliche Eigenständigkeit, denn die niederdeutschen Dialekte haben sich auf der Grundlage einer selbständigen Sprache entwickelt. Der Unterschied zur Hochsprache besteht darin, daB das Niederdeutsche die Entwicklungsschritte des Hochdeutschen nicht mitvollzogen hat. Dadurch fehlt ihm die Anpassungsfähigkeit an eine sich zunehmend wandelnde Hochsprache, zumal das Niederdeutsche in viele Dialekte aufgespaltet ist. Der Dialektsprecher muss also zur allgemeinen Verständigung noch eine Zweitsprache, das Hochdeutsche, sprechen, das immer nachdrücklicher in alle Lebensbereiche eingedrungen und in der Nachkriegszeit zur Erstsprache geworden ist.

Nun ist eine 1984 durchgeführte repräsentative Umfrage des 1972 gegründeten Bremer Instituts für Niederdeutsche Sprache, die bei 2000 Bezugspersonen in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und dem nördlichen Westfalen durchgeführt wurde, zu der erstaunlichen Feststellung gekommen, dass "in den letzten 20 Jahren (das Niederdeutsche) keineswegs an Boden verloren hat". In Nordniedersachsen und Bremen können noch 53% der Befragten sehr gut bis gut plattdeutsch sprechen und 80 % können plattdeutsch verstehen. In Südniedersachsen gibt es dagegen nur 27%, die gut plattdeutsch sprechen und 57%, die es gut verstehen können. Der große Unterschied bestand bereits vor dem Kriege. Nur 89% gaben an, dass sie das Plattdeutsche auch gut schreiben können (Stellmacher 1987).

Darin zeigt sich, dass das Plattdeutsche noch immer das ist, was es über 100 Jahre war, eine Umgangssprache und keine Schriftsprache. Der Unterschied gegenüber früher liegt darin, dass heute das Niederdeutsche als Zweitsprache eine neue Qualität gewonnen hat. Im Bereich Schule und häusliche Erziehung wird eindeutig dem Hochdeutschen der Vorzug gegeben, dagegen wechselt man im Bereich Freizeit und Unterhaltung lieber zum Plattdeutschen über. Das gilt besonders für das zunehmende Alter, weil die größere Sympathie der Norddeutschen beim Plattdeutschen liegt. Das Niederdeutsche mit seiner großen und nuancenreichen Ausdrucksfähigkeit, mit der unmittelbaren Beziehung zu Land und Leuten, zu den Familien, Haus und Flurnamen vermittelt ein Heimatgefühl, eine Identität mit dem Dorf und dem Land, in dem man lebt. Deshalb bemühen sich auch die Zugezogenen um ein Verstehen und Sprechen der örtlichen Mundart. Von den Küstenbewohnern, auch von den Städtern z.B. in Leer... wird geradezu erwartet, dass sie plattdeutsch können, weil das zu dem Bild gehört, das die Medien über sie verbreiten.

Selbst in den jüngeren Altersgruppen der Bevölkerung zeigt sich in jüngster Zeit ein wachsendes Interesse an der Heimatregion, ihrer Geschichte, ihren Eigenarten und damit auch an der Sprache, dem Heimatdialekt. Dies hat seine Ursachen einmal in dem gestiegenen Bewusstsein für ökologische Zusammenhange und der damit verbundenen Auseinandersetzung im Hinblick auf die Erhaltung einer intakten ländlichen Umwelt. Ein weiterer Grund ist die Suche nach den regionalen Voraussetzungen und Ursprüngen der eigenen Identität in einer den einzelnen immer mehr entfremdenden Umgebung.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass dieses neuentdeckte Interesse an der heimatlichen Tradition und Sprache nicht nur von Heimatvereinen ausgeht, sondern auch vom Bildungsbürgertum mitgetragen wird, einer Bevölkerungsgruppe also, die früher aufgrund der sozialen Besserstellung als erste den Dialektgebrauch aufgab.

Der früher oft abfällig angesehene Gebrauch des Wortes "plattdeutsch" gegenüber dem gefälligeren, aber weniger bekannten "niederdeutsch" hat erheblich zugenommen. Wer heute "plattdeutsch" kann, ist aufgewertet gegenüber dem, der nur hochdeutsch spricht. Er gilt für den Binnenländer als ein Stück seewindumwehtes Norddeutschland, als ein Bodenständiger, den man auch wegen seiner Sprache achtet.

Das Plattdeutsche erlebt zur Zeit eine Renaissance. In fast allen Heimatvereinen, von denen es in Niedersachsen gegenwärtig etwa 900 gibt, bestehen Gesprächskreise, in denen Niederdeutsch gesprochen und gepflegt wird...

Dennoch ist es für das Niederdeutsche aufgrund seiner regionalen Unterschiede schwierig, eine größere Verbreitung zu finden. Im Gegensatz zum Hochdeutschen fehlt eine einheitliche Schriftsprache. Damit wird aber auch der entscheidende Charakter dieser Sprache gewahrt, denn dadurch, dass sie sich der Vereinheitlichung und Verwissenschaftlichung entzieht, bleibt sie trotz aller Veränderungen das, was sie ist: ein spontanes und direktes Ausdrucksmittel, das nicht nur aus traditionalistischen Gründen erhalten bleibt

 

 

 

 

Miteinander

 

 

Örtliche Eigenheiten

Ferdinand Siemann Bericht an die Historische Kommission zur Bauerntumsforschung in: 900 Jahre Warmsen, eine Gemeinde in Wort und Bild, Schriftenreihe der Samtgemeinde Uchte Band 5 1996

Es ist eine alte Sitte: Geht jemand in eine Gaststätte und bestellt sich einen Schnaps und es ist jemand in der Nähe, so sagt er: „Na, schenk dem auch einen ein“, ohne zu erwarten, dass der andere Gast wieder einen ausgibt. Beispiel: Als jemand von hier bei Davider in Wegholm einkehrt und dort seinen Schnaps trinkt, gibt der für den anderen Gast auch einen aus.

Er bezahlt und geht seiner Wege. Nach dem Fortgehen fragt der Gast: „Wer war das?“ Antwort des Wirtes: „Ich weiß es nicht, er muss aus dem Hannöverschen sein, ein Preuße gibt für den anderen keinen aus!“

 

Bauerntanz im Freien um 1500

 

Kupferstich von Daniel Hopfer in: 900 Jahre Warmsen, eine Gemeinde in Wort und Bild, Schriftenreihe der Samtgemeinde Uchte Band 5 1996

 

 

 

Erloschene Bräuche

 

 

 

Spinnstuben

„Im Winter kommt die Jugend regelmäßig in den Spinnstuben zusammen. So war es von jeher Sitte, bis es in den 1880er Jahren verboten wurde.“

Ferdinand Siemann Bericht an die Historische Kommission zur Bauerntumsforschung 1934

 in: Chronik Warmsen

Spinn- und Nähstuben (Warmsen)

Wolfgang Meyn in: Chronik Warmsen

Eine traditionelle Beschäftigung der jungen Mädchen begann im Winter. Man traf sich in den Spinnstuben. 6 – 10 Mädchen gingen an den Abenden reihum, daß heißt von Nachbar zu Nachbarhaus, um zu spinnen. An den Abenden verließen die Eltern das betreffende Haus, um den jungen Mädchen die Gelegenheit zu bieten, ungestört ihren Gesprächsstoff nachgehen zu können.

Eine gründliche Aussprache über örtliche Familienangelegenheiten, ohne dabei die Worte auf die Goldwaage zu legen, fand statt. Alle möglichen Dorfleute wurden dabei „durchgehechelt“, „durch die Zähne gezogen.". Dieses ist sinnbildlich zu verstehen.

Wenn der Flachs von den Blüten befreit wurde, dann wurde ein Querbalken, versehen mit engstehenden Eisennägeln,– Hechel – in den Tennen angebracht und der Flachs zum Abstreifen hindurchgehechelt. Man sprach daher, je nachdem wie eng die Eisennägel standen, vom Grobund Feinhecheln. Nach Bearbeitung des Flachses wurde damit gewebt. Das entstandene Leinen wurde zu Wäsche und Arbeitszeug verarbeitet. Hosen und Kittel oftmals mit Indigo blau gefärbt. Farn und Kastanienschale lieferten braune und Moos grüne Färbungen.

Aus der Wolle von Tieren wiederum wurde Wollgarn an den Spinnrädern hergestellt. Man nannte dies auch Spinngarn. Emsig schnurrten die Spinnräder aber auch das „lose Mundwerk", deshalb sagt man noch heute, wenn eine Sache nicht beweisbar oder unglaubwürdig erscheint: „die spinnt".

Ich glaube, man kann sich als Leser gut vorstellen, dass man dieses muntere, lustige Treiben als schön und gemütlich empfand.

Es war eine Gelegenheit, um ungezwungen und leger seine Ansichten zu entwickeln. Immer wieder erfährt man von älteren Einwohnern, dass die Themen sich oftmals um junge Burschen und das Heiraten drehte.

Spukgeschichten und humorvolle Anekdoten kamen jedoch auch nicht zu kurz. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass gerade in diesen Stunden das alte Liedgut von Lieben, Leiden, Glück und Sterben immer seinen Raum gefunden hat.

Oftmals gab es am Schluss, wenn das Arbeitspensum geschafft war, zum Ausklang bei spärlicher Beleuchtung das Versteckspiel.

Bezeichnenderweise hieß es „use sind nich inne" (unsere sind nicht daheim). Benachbarte Jungen versuchten immer wieder am Vergnügen teilzuhaben, sie machten sich durch Stören bemerkbar.

Es heißt allerdings auch, dass manche Ehe durch die Kavalierspflicht, nämlich ein Mädchen nach Hause zu bringen, erwirkt wurde.

Eine weitere Sitte war das Erlernen von Weißnähen. Dazu kam eine „gelernte Näherin“ ins Haus. Junge Mädchen, mit Nähmaschinen ausgerüstet, trafen sich, um nun die nötigen Kenntnisse vermittelt zu bekommen. Es wurde erlernt, Nähte herzustellen, Flicken einzusetzen, verschiedene Saumarten zu fabrizieren und zuschneiden und trennen zu können. All das Tun unter Anleitung gab natürlich auch Anlass, Spaß und Freude zu erleben. Nicht alles gelang auf Anhieb. Wer da den Schaden hatte, brauchte sich um Spott nicht zu sorgen. Befähigte junge Mädchen erhielten Lob und manche haben zu der Zeit begonnen, sich im Nähen fortbilden zu lassen.

Aus diesem kleinen Beitrag ist zu erkennen, wie in solchen überschaubaren Arbeits- und Interessengruppen die nachbarschaftliche Nähe gesucht und gepflegt wurde. Viel zu oft ist dieser Wert übersehen worden. Freundschaften und Gemeinschaften sind dabei entstanden, die jahrelang Bestand hatten und das dörfliche Leben mitgeprägt und getragen haben.

Backen und Spinnen in Borstel

Elfriede Dieckvoss

in Geschichte des Kirchspiels Borstel, Hrsg. Heimatverein Borstel 1990

Der Backtag im großen Backhaus war immer ein Ereignis. Dazu wurde am Tage vorher der Backofen mit großen Holzstubben, feinem Holz und Reisig gefüllt. Abends wurde das Brot angesäuert. Dazu brauchte man vier Eimer heißes Wasser, eine Handvoll Salz, einen Klumpen Sauerteig, ein Ztr. geschrotenes Roggenmehl. Im großen Brottrog wurde dieses alles zu einem Brei verarbeitet, dann mit einem sauberen Laken abgedeckt und mit einem Oberbett zugedeckt. Am frühen nächsten Morgen wurde das Holz von Opa angesteckt, denn um die nötige Temperatur zu erreichen, dauerte es ungefähr drei bis vier Stunden. Die Frauen kümmerten sich derweil um den gut aufgegangenen Teig; er wurde in Partien gut durchgearbeitet, kam wieder zurück in den Trog, Bettlaken darüber und wurde dann noch mit den Füßen bearbeitet. Nun ruhte der Teig eine Stunde, dann wurde er in 14 Teile aufgeteilt, geknetet und geformt. Man ließ die 12 bis 14 Pfund schweren Brote noch etwas gehen, um sie dann vier Stunden zu backen. Dieser Vorrat reichte für zwei Wochen. Wenn heute auf den Höfen nur noch selten Brot gebacken wird, so steht das Backen von Kuchen, insbesondere von leckeren Torten hoch im Kurs.

Ganz anders sieht es in einem anderen alten Arbeitsbereich aus, dem Spinnen und Weben. Für die Frauen auf den Höfen war es die wichtigste Jahresarbeit. In allen Kindheits- und Jugenderinnerungen spielt der Flachs und seine Verarbeitung eine ganz große Rolle. Da wir jüngeren Leute das gar nicht mehr erlebt haben, ist es um so schöner, den alten Erzählungen zu lauschen:

Die wichtigste Person in dieser Geschichte ist Oma Doris. Sie hatte im wahrsten Sinne des Wortes in diesem Arbeitsbereich die Fäden in der Hand. Sie kümmerte sich um alle Arbeiten, und die Mädchen und Frauen auf dem Hof mussten bereitstehen, wenn sie es für richtig hielt, den Flachs zu jäten, zu ernten, zu brechen, zu hecheln usw. Da duldete sie keine Ausreden. Auch wenn es über Mittag noch so heiß war, der Flachs hatte Vorrang.

Aber auch Oma selbst arbeitete mit hochrotem Kopf mit, dabei hatte sie den großen Sommerhut auf. Warum war diese Arbeit so wichtig? Es war überwiegend Handarbeit mit vielen Arbeitsgängen.

Der Flachs musste am 100. Tag im Jahr ausgesät werden. Eine ganz mühselige Arbeit war dann das Jäten (Weihen).

Dazu setzte man sich auf den Hintern, evtl. einen Sack darunter und rutschte so an den kleinen Flachspflanzen vorbei, um sie von dem Unkraut zu befreien. Ende Juli, Anfang August musste der Flachs von Hand ausgerupft werden; entweder wurde er in Bündeln aufgestellt oder auf der Heide ausgebreitet, denn in den folgenden drei bis vier Wochen sollte er mürbe werden. Die Leinsamen wurden mit einem Flegel ausgedroschen und in die Ölmühle gebracht. Wichtiger aber waren die Halme, sie wurden mit einer Brechmaschine, eine Art Mangel, gebrochen. Dann ging es durch die Schleppmaschine, wobei nun die Faser oder „Schäbe” gewonnen wurde. Als nächstes musste diese Schäbe noch gereinigt werden, das war das Hecheln und Kämmen, so dass man am Ende reines Flachs und „Hede”, d. h. die Rückstände, säuberlich getrennt hatte.

Nun ging es ans Spinnen, der reine Flachs ergab sozusagen die 1. Sorte, die Hede die 2. und 3. Sorte. Danach wurde das Garn gekocht und auf der Wiese gebleicht. Die Hede wurde beim Weben als Einschlag genutzt, um dann Handtücher und Trockentücher zu weben. Die Blockwinkler Webstube war das große Zimmer oben über den Wohnräumen.

Wenn im Winter Zeit war, wurde gewebt, Bettwäsche, Tischwäsche, Handtücher, Leibwäsche. Die ganze Aussteuer bis auf die Oberbekleidung wurde also von Anfang bis zu Ende selber hergestellt. Wie fleißig ein Mädchen war, konnte man dann am Leinenschrank bei der Hochzeit nachzählen.

 

 

 

Teilweise noch praktizierte Bräuche

 

 

Pfingstkranz

 

 

Pfingstkranz in Bonhorst 1930er

 

Bildersammlung Wiehe

in: 900 Jahre Warmsen 1996

Pfingstkranz in Großenvörde 1943

 

Bildersammlung Wiehe

in: 900 Jahre Warmsen, 1996

 

 

 

Maiboom planten

 

 

z. Zt. noch nicht besetzt

 

 

Erntekranz-Binden

 

 

z. Zt. noch nicht besetzt

 

 

Martins-Singen

 

 

 

Matten rechts der Weser

aus Chronik Leese 1983

Am Abend vor dem Martinstag singen die Kinder:

Matten, Matten, gaue Matten,

dei et bolle dauen kann,

Appel un dei Birn Beern,

Nöte mach ick geern.

Junge Fraue, wess sau gaue,

Lat mi nich sau lange stahn,

Ick mott noch wüt, wiit Wäge goan.

Ick hör dei Slötels klingen,

Ick glöwe sei witt mi watt bringen,

Ick hör dei Kisten klappen,

Ick glöw ick kriege n' Appel.

Witten Tweern un swaten Tweern

(Meyers) Mudeer gifft so geern.

Reicht man den Kindern keine Gabe, so singen sie:

Rull, rull, rull,

Dat ole Wiew is dull.

Oder auch etwas deftiger:

Mudder hat int Hemd e’scheeten.

 

 

 

 

Nachbarschaftsbeziehungen

 

 

Vorbemerkungen

Gerade auf dem Lande waren die Menschen schon immer aufeinander angewiesen. Aus der Tradition der Großfamilien heraus hat sich das Gemeinschaftsgefühl, das Miteinander-Umgehen gehalten und wird – auch heute noch – gepflegt.

 

Die Ursachen hierfür liegen nicht nur in der Tatsache begründet, dass man miteinander reden, feiern oder umgehen möchte, man war sich auch bewusst, dass man alleine viele Dinge ohne die Hilfe der Anderen nicht bewältigen konnte.

 

Dabei ist zwischen Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft genau zu unterscheiden; Nachbarn sind nicht unbedingt unmittelbare Anlieger, es sind traditionelle, teilweise schon Jahrhunderte alte Beziehungen, die örtlich durchaus weit auseinander liegen können, weil man damals, als die Bauernschaft noch kleiner war, halt der „Nachbar“ war. Die gegenseitige, unentgeltlich Hilfe war und ist selbstverständlich und erstreckt sich auf fast alle Lebensbereiche.

Aus dieser Nachbarschaft entwickelten sich erst die „Hand- und Spann-Dienstgemeinschaften“ und die Dorfgemeinschaften, die es einem Neu-Hinzugereisten oft nicht sehr einfach machten, in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden.

 

In diese Richtung geht auch der teilweise heute noch von den jungen Männern praktizierte Brauch, den Liebhabern der Dorfholden, die aus anderen Jagdrevieren kamen, ein „Bullengeld“ abzuknöpfen, und es ist keine drei Generationen her, dass solche aus dem „Preußischen“ selbst dieser Freikaufzins nicht zugestanden wurde!

 

1880 Nachbarschaftshilfe Warmsen

Ferdinand Siemann Bericht an die Historische Kommission zur Bauerntumsforschung 1934 in: Chronik Warmsen

 

Nach wie vor besteht das alte nachbarliche Verhältnis, wie es seit Generationen bestanden hat. Anrede untereinander mit Vornamen, mit Ausnahme der ganz alten Leute, wird jeder mit „Du“ angeredet, ganz alte Leute mit „Ji“. Niemals wird unter den Bauern das Wort „Sie" gebraucht. „Reihedienst", hier Bollwerk genannt, gibt es noch bei Wege – und Flussarbeiten und ähnlichen Sachen.

2. Nachbarschaftsverhältnisse werden vorbildlich treu gehalten, in Not und Tod, in Freud und Leid. Der Nachbar lädt am Winterabend die Nachbarschaft ein, dass sind 10 – 15 Personen.

Da gibt es zuerst einen „Schwarzen“, d.h. eine Tasse schwarzen Kaffee mit Zucker und ein Schnaps hinein, aus freier Hand eingeschenkt.

Die Frauen stricken, dabei wird erzählt, geklönt. Wenn alles durchgehechelt ist, spielen die Männer Karten, dazu wird des öfteren einer eingeschenkt, aber bestimmt nicht zuviel. Zum Schluss, gegen 11 oder 12 Uhr wird gemeinschaftlich Kaffee getrunken, dazu gibt es Graubrot mit Butter, kein Belag dazu. Falls die Frauen auch mal die Karten in die Hand nehmen, spielen sie um Bohnen oder „schwarzer Peter.“ Zu einer anderen Zeit werden die Verwandten eingeladen und zwar schon zum Kaffee. Abends gibt es warmes Essen.

Sterbefall:

Stirbt ein Nachbar, so wird dies sofort auch in der Nacht, dem Nachbarn gesagt.

Mann und Frau machen sich sofort fertig, gehen zum Trauerhaus, nehmen die Leiche aus dem Bett, setzen sie auf einen Stuhl. Kopf, Hände und Füße werden gewaschen, Nägel beschnitten und wenn es ein Mann ist, auch rasiert. Dem Leichnam wird ein neues Hemd angezogen und sauber auf ein reines Lager gelegt. Der Sarg wird bestellt und dem Pastor und dem Standesamt der Tod gemeldet. Mit der Familie wird besprochen, wer zum Folgen bestellt werden soll. Alle Bestellungen, alle Vorbereitungen besorgen die Nachbarn. Am Tage der Beerdigung wird dem Gefolge Kaffee mit Zwieback angeboten. Die Leiche wird dann von weiteren Nachbarn zum Friedhof getragen. Dabei besteht hier die alte Sitte, dass die Leiche einmal um die Kirche getragen wird.

Im Sterbehaus wird dem Gefolge nach der Trauerfeier auch ein Schnaps eingeschenkt und Kaffee mit Zwieback angeboten.

Hochzeiten

Ebenso wie bei Trauerfeiern erfolgt die Nachbarschaftshilfe bei Hochzeiten. Schon tagelang vor der Hochzeit finden sich Nachbarn mit ihren Frauen ein, um alles vorzubereiten. Haus und Hof wird gründlich aufgeräumt. Die Frauen sprechen über Kochen, Kuchenbacken und dergleichen. Jede geladene Familie schickt tags zuvor schon ein Huhn. Auch diese müssen schon vorbereitet werden. Am Tage der Hochzeit übernehmen die Nachbarn die ganze Bedienung bei Tisch, während die Frauen das Kochen besorgen. Die Hochzeiten werden hier stets auf einem Freitag abgehalten. Am nächsten Sonntag werden dann die Nachbarn eingeladen, zum „fetten Kohl“. Sie werden nun von dem jungen Ehepaar bedient.

Liegt das Hochzeitshaus etwas weiter von der Kirche entfernt, so wird das Brautpaar nebst Begleitung auf Brautleiterwagen gefahren. Vor dem Hochzeitshaus bleibt dann das Brautpaar solange auf dem Wagen sitzen, bis der Kutscher mit den Pferden um den Wagen herumreitet. Am Haupteingang wird dem Brautpaar ein Glas Wein gereicht, sodann wird das Glas nach rückwärts über den Kopf geworfen, wo es zersplittern muß. Danach wird das junge Ehepaar von den Eltern am Arm in die Stube geführt. Zu einer solcher Hochzeit kommen 80 – 100 Personen.

Krankheit

Ist ein Nachbar einige Zeit krank, so besprechen sich die Nachbar – Frauen. Jede macht ihre Einkäufe von Zucker, Kaffee, Kuchen oder eine Flasche Wein. Zu gegebener Zeit machen sie einen gemeinschaftlichen Besuch. Aber auch in der Zwischenzeit wird der Kranke, auch von den Männern des öfteren besucht. Die Nachbarschaft wird hochgehalten, auch von den Häuslingen.

 

„Notnachbarn“ waren treue Helfer

 

Gerhardt Seiffert (gest.) Heimatbote der Regionalzeitung „Die Harke 16.11.1991

Eine Erinnerung an Nachbarschaftsrechte und Nachbarschaftspflichten im alten Niedersachsen

Viel mehr als heute[...] standen sich die Menschen im alten Niedersachsen persönlich und nachbarlich näher. So hatte sich unter der Bevölkerung bis etwa zu Beginn unseres Jahrhunderts hinein manch alte Sitte und alte Bräuche erhalten, über die die Entwicklung längst gleichgültig hinweggegangen ist. Den besten Beweis dafür liefern die in vielen Gebieten einst üblichen Geflogenheiten über Nachbarschaftsrechte und Nachbarschaftspflichten. [...]

Wenn sich jemand auf dem Lande, und dies war vor allem im Emsland der Fall, ein eigenes Heim gründete, sei es durch Bau oder Kauf, oder wenn er von einer Stelle zur anderen zog, so lag ihm die Aufgabe ob, „de Noaberschap op to dahn". Wurde dabei nichts weiter bemerkt, so sollte die betreffende Familie als einfacher Nachbar gelten. Sollte sie dagegen zu den „Notnachbarn" gehören, deren jede Familie in der Regel zwei hatte, so wurde dieser Wunsch besonders ausgesprochen. Ein Ablehnen war zwar statthaft, galt jedoch als Missachtung und kam nur sehr selten vor. Die Nachbarschaftsfeier bestand in einer Kaffeestunde, zu der nur die Hausfrauen erschienen.

Die Notnachbarn zündeten das Herdfeuer an

Das nachbarliche Verhältnis machte sich bei allen wichtigen Familienangelegenheiten geltend. Hatte jemand ein neues Haus gebaut, so zeigte er die Zeit, zu der er es beziehen wollte, den Nachbarn an. Zu diesem Tag erschienen zunächst die Notnachbarn, zündeten unter einem Gebet das Herdfeuer an und bereiteten den ersten Kaffee für die Familie des Bewohners sowie die Frauen der anderen Nachbarn.

Umfassende Vorbereitungen und Dienstleistungen oblagen den Nachbarn auch bei Hochzeiten. Zunächst mussten sie den Hochzeitsbitter stellen, der die im Ort selbst wie auch in den nächstgelegenen Dörfern wohnenden Verwandten des Brautpaares einzuladen hatte.

 

Bild aus Heimatbuch des Lks. Nienburg 1938

 

Ferner hatten sie Wagen und Bespannung für den am Tag vor der Hochzeit eintreffenden Brautwagen, „Kistenwagen" genannt, zu stellen, die Braut feierlich einzuholen und, wenn sie von auswärts kam, ihr auch Obdach für die Nacht vor der Hochzeit zu gewähren. Bis zur Rückkehr des jungen Paares aus der Kirche hatten die Nachbarn außerdem mit den kulinarischen Vorbereitungen zu tun . Kamen die Frischvermählten am Hochzeitshaus an, bot ihm ein Notnachbar den Willkomm mit einem Glas Wein. War das Glas ausgetrunken, wurde es über die Köpfe des Brautpaares hinweg geworfen. Wenn es am Boden zerschellte, galt dies als erfreuliches Vorzeichen für die Ehe.

Das Hochzeitsmahl bestand als erstem Gang aus einer Fleischsuppe mit geschnittenem Rindfleisch, dann folgte je nach Jahreszeit Weißkohl oder Sauerkraut mit Kartoffeln zusammengekocht, als Beilage Schinken und Geflügel; den Schluss machte ein mit Zucker und Kaneel bestreuter steifer Reisbrei.

Das Recht, das Tischgebet zu sprechen, hatte der Notnachbar, ihm oblag es auch, dass alles bei der Tischordnung „to Schick" war, denn wehe, wenn einer oder schlimmer noch, eine der Verwandten zu weit nach unten ihren Platz hatten. Dann gab’s böse Gesichter, und vergessen wurde das so bald nicht.

Getrunken wurde vielfach Bierkaltschale, bestehend aus Braunbier, Sirup und Brot. Dabei fehlte natürlich auch „de Pulle Sluck“, der Branntwein, nicht, der mehr oder weniger heimlich, wenn’s ans „Ummedanzen" ging, seine Runde machte.

Wenn der Storch sich ankündigte, hatten die Frauen der Notnachbarn, oder wenn solche nicht vorhanden waren, die anderen Nachbarn ihre Arbeiten ohne weiteres liegen zu lassen und Beistand und Aushilfe im Haushalt der betreffenden Familie zu leisten, soweit es gewünscht wurde. Die Nachbarinnen kleideten das Neugeborene auch zur Taufe an, und wenn es aus der Kirche zurückkam, hatten sie bereits die Vorbereitungen für das „Kindelbier" getroffen.

Bei Todesfällen hatten die Nachbarn je nach Bedürfnis einzutreten, auf jeden Fall aber beim „Ansagen“ im Dorfe. Bei der Beerdigung Erwachsener stand stets die ganze Nachbarschaft den Leidtragenden zur Seite. In vielen Dörfern war es Sitte, allen Teilnehmern „en Todenmahl“ zu geben. Den Notnachbarn oblag nach altem Herkommen die Pflicht, die Leiche zu waschen, das Totenhemd zu nähen und es der Leiche anzuziehen.

Die Nachbarn mussten die verstorbene Person in den Sarg legen und auf ihren Schultern zu Grabe tragen. Früher mussten sie auch die Totenwache halten, jedoch wurde dieser Brauch allmählich abgeschafft, „da er“ – wie es in einem Bericht um die Jahrhundertwende heißt – „manche Unerträglichkeiten im Gefolge hatte, die sich mit dem Ernste eines Totenhauses nicht in Einklang bringen ließen“. Beim Leichenmahl sprach ein Notnachbar das Tischgebet für die Seelenruhe des oder der Verstorbenen.

So begleitete die „Naberschaft" – einzelnen Gebieten natürlich etwas unterschiedlich in Art und Brauch – die Bewohner von der Wiege bis zur Bahre. Die übernommen Verpflichtungen wurden als etwas Selbstverständliches betrachtet, die zustehenden Rechte mit Hingabe ausgeübt als etwas, was durch Urvätersitte geheiligt war.

 

„Hochzeitsbitter“ heute

 

In unserem näherem Bereich ist der Brauch der Hochzeitsbitter weitgehend erloschen, obwohl im weiteren Umkreis durchaus vereinzelt noch Personengruppen anzutreffen sind, die durch ihr Äußeres deutlich machen, dass diese Tradition noch nicht ganz ausgestorben ist.

Und Sie können sich sicher unsere Überraschung vorstellen, als wir am 1. Mai 2003 zwei junge Damen festlich gekleidet und geschmückt an unserem Tor vorfanden, die mit einem netten Gedicht zum Hochzeitstag der zukünftigen Familie Schaar in Raddestorf einluden.

Die Situation war so köstlich, dass ich sie hier bildlich dokumentieren will, wohl wissend, dass dies kein Wiederaufleben des ursprünglichen Brauches darstellt, leider.

 

  

 

 

 

 

Literaturverzeichnis

 

 

Örtliche Chroniken

 

Borstel: Geschichte des Kirchspiels Borstel, Hrsg. Heimatverein Borstel 1990

Leese: 800 Jahre Gemeinde Leese 1983, Gemeinde Leese (Hrsg.), Schriftleitung Heinrich Munk, 1983

Voigtei: F. Bomhoff, Voigtei eine Streusiedlung am Rande der Moore in Steyerberger Chroniken 1989

 

 

Überregionale Beschreibungen

Gade, Heinrich Historisch-geographisch-statistische Beschreibung der Grafschaften Hoya und Diepholz, 2 Bände, Nienburg 1901.

 

Seedorf, Hans Heinrich und Meyer, Hans-Heinrich (Hrsg.). Landeskunde NIEDERSACHSEN. Natur und Kulturgeschichte eines Bundeslandes. Band II: Niedersachsen als Wirtschafts- und Kulturraum. 1996. Wachholtz-Verlag Neumünster.

 

 

Zeitungen

Heimatbote der Regionalzeitung „Die Harke“, Nienburg/Weser

 

 

Wird fortgesetzt...

 

 

 

 

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